Stele – Alte Grenzstraße Selmsdorf

‚Alte Grenzstraße‘ Selmsdorf / Lübeck – Schlutup

Seit Jahrhunderten verband die Mecklenburger Chaussee, seit 1970 Mecklenburger Straße und heute Alte Grenzstraße genannt, Mecklenburg mit der Hansestadt Lübeck.

Nach dem zweiten Weltkrieg verlief hier die Demarkationslinie zwischen der britischen und der sowjetisch besetzten Zone. Seit dem 30. Juni 1946 waren Grenzübertritte nur über „Kontrollpassierpunkte“ möglich. Selmsdorf/Lübeck-Schlutup konnte zu Fuß oder mit dem Auto passiert werden. Dieser nördlichste Grenzübergang, einst an dieser Stelle, wurde 1947 wieder geschlossen.

Zehn Jahre nach Kriegsende, am 1. September 1949, öffnete die Sowjetische Militäradministration den Kontrollpunkt Selmsdorf für einen Tag. Über 1.000 junge Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone und etwa 500 Lübecker aus der jungen Bundesrepublik begingen gemeinsam den „antifaschistischen Friedenstag“. Am 7. Oktober 1949 erfolgte die Gründung der DDR.

Am 26. Mai 1952 rissen Grenzer die Mecklenburger Chaussee an der Zonengrenze auf, fällten Bäume und Büsche, eggten den Boden. Der „Todesstreifen“ entstand. Grenzsoldaten zogen Stacheldrahtzäune, bauten hölzerne Beobachtungstürme, sperrten Straßen mit einem Schlagbaum und errichteten einen neuen Kontrollposten. Mit Einführung der neuen „Polizeiverordnung“ 1952 errichtete die DDR an der 1.370-km-langen innerdeutschen Grenze ein immer perfideres, unmenschliches Sperrsystem. Es war vor allem gegen die eigene Bevölkerung gerichtet und vor allem zu Verhinderung von Fluchten gedacht.

Die Mecklenburger Chaussee zwischen Zonengrenze und Selmsdorf lag im 500-m-Schutzstreifen und war seitdem selbst für Schutzstreifenbewohner gesperrt.

Auf Initiative Lübecker Politiker öffnete die DDR am 1. März 1960 den Straßenübergang Selmsdorf/Schlutup wieder. Staatssicherheit, Grenztruppen, Volkspolizei und freiwillige Helfer beobachteten den Besucherverkehr offen und verdeckt. Mit dem Transitabkommen von 1972 wurden die Allee sowie die damalige F104 und F105 zur Transitstrecke für Bundesbürger auf der Reise nach Gedser (Dänemark) und nach Trelleborg (Schweden). Der Grundlagenvertrag vom Dezember 1972 ermöglichte Bundesbürgern aus grenznahen Orten, im „kleinen Grenzverkehr“ ihre ostdeutschen Angehörigen in Grenznähe zu besuchen.

Über die Allee und den Grenzübergang wurden immer wieder Agenten der Staatssicherheit in die BRD geschleust.

1979 entstand auf dem Ihlenberg bei Selmsdorf die damals größte Giftmülldeponie Europas. Die Riesenmengen von 800.000 bis einer Million Tonnen Müll aus dem Westen wurden seitdem gegen Devisen dort abgeladen – jedes Jahr. Täglich fuhren 130-140 Mülltransporter durch Schlutup und über die Mecklenburger Chaussee durch Selmsdorf, in Spitzenzeiten bis 200 LKW.

Am 9. November 1989 kurz vor 22:00 Uhr fuhr das erste DDR-Auto ohne Kontrollen durch den geöffneten Grenzübergang. Tausende folgten in jener historischen Nacht. Heute erinnert der Straßenname „Alte Grenzstraße“ an ihre einstige Bestimmung.

(Text: Christine-Vogt-Müller)

Literaturhinweis:
Karen-Meyer Rebentisch: „Grenzerfahrungen. Dokumentation“, 2009 Hrsg. Hansestadt Lübeck
Christiane Woest: „Selmsdorf, Geschichte und Geschichten. Ein Heimatbuch“, Bd. 1. Hrsg. Gemeinde Selmsdorf, 2017