Stele – Boltenhagen Seebrücke

Boltenhagen

Boltenhagen entwickelte sich zu DDR-Zeiten zum begehrten ‚Bad der Werktätigen‘. Private Hotels und Pensionen waren SED – Funktionären von Anfang an ein Dorn im Auge. Mit der ‚Aktion Rose‘ im Februar 1953 begann eine beispiellose Enteignungsaktion entlang der Ostseeküste. Unter fadenscheinigen Gründen

(„Schwarzmarkt“, „Schieberei“) sollte Privatbesitz beschlagnahmt werden. Olga Köpke, ehemalige Inhaberin der Pension ‚Deutsches Haus‘ an er Strandpromenade: „Eines Tages kamen unangemeldet zwei Herren, zeigten ihren Kontroll-Ausweis und wollten das Fleisch nachwiegen, das wir den Gästen serviert haben. Uns war Himmelangst, aber sie fanden nichts.“

Bei anderen Gastronomen und Hoteliers gingen die Kontrollen nicht so glimpflich ab. In das private Kinder – Erholungsheim „Haus Oranien“ zog 1955 die DDR-Grenzpolizei ein. Bis 1977 nutzte die ‚Grenzbrigade Küste‘ das Haus. Allein in Boltenhagen traf sieben Hausbesitzer die Enteignung, an der gesamten DDR – Ostseeküste erklärte man über 400 Personen zu ‚Wirtschaftsverbrechern‘. Sie wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, im Bützower Gefängnis eingesperrt und verloren ihr Eigentum.

Nach dem Bau der Mauer 1961 erklärte die DDR-Regierung einen fünf Kilometer breiten Streifen entlang der Ostseeküste zum Grenzgebiet. Boltenhagen gehörte dazu. Feriengäste mussten sich auf plötzliche Kontrollen durch Grenzsoldaten, Volkspolizisten oder freiwillige Helfer (1980 gab es 58 freiwillige Helfer) einstellen. Selbst Saisonhilfen in der Gastronomie wurden vorab auf ihre politische Zuverlässigkeit und mögliche Fluchtpläne überprüft. Wassersport auf der Ostsee war so gut wie unmöglich. „Das Benutzen von Sportbooten und Brettsegeln in den Küstengewässern in den Küstengewässern des Kreises Grevesmühlen ist nicht erlaubt“, hieß es in der Grenzordnung von 1982. Schwimmhilfen wie Luftmatratzen durften in der Badesaison nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang benutzt werden. Erlaubte Entfernung: 150 Meter bis zur Küste! Nachts leuchteten starke Armeescheinwerfer regelmäßig den Strand ab. Trotzdem wagten immer wieder DDR-Bürger die gefährliche Flucht über das Meer. Dr. Dietrich von Maltzahn, damals Arzt in Boltenhagen: „Es waren immer junge Leute in den hoffnungsvollsten Jahren, deren verweste Körper etwas weiter westlich von Boltenhagen an der Brooker Höhe vom Nordwestwind angeschwemmt worden waren…“

Nach bisherigen Erkenntnissen sind seit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 mindestens 174 Personen bei der Flucht über die Ostsee ums Leben gekommen.

Im September 1989, zwei Monate vor dem Fall der Mauer, gelang die letzte Flucht über die Ostsee. Mario Wächtler kam mit dem Trabant nach Boltenhagen und stieg an der Wohlenberger Wiek ins Wasser. Der durchtrainierte Sachse schwamm 19 Stunden in der Ostsee, bis ihn das Fährschiff ‚Peter Pan III‘ bei Travemünde die Freiheit brachte.

(Text: Dorian Rätzke)

Literaturhinweise: Horst Günther; Boltenhagen-Ostseebad, Chronik Boltenhagen, Tarnewitz, Redewisch, Wichmannsdorf'. cw Nordwest Media Verlagsgesellschaft mbH Grevesmühlen
Dietrich von Maltzahn: 'Querlage – Meine Erlebnisse als Arzt in Ost und West' Boltenhagen Verlag
Christine und Bodo Müller: 'Über die Ostsee in die Freiheit' Delius Clasing Verlag 2010
Piehl, Stutz, Parschau: 'Einblicke Nr. 4 Zwischen Schalsee und Salzhaff'. Herausgeber Landkreis Nordwest-Mecklenburg, Kulturamt
Dorian Rätzke: 'Zwischen Stacheldraht und Strandkorb' – DDR-Alltag an der Lübecker Bucht' Boltenhagen Verlag
Christine Vogt-Müller: 'Hinter dem Horizont liegt die Freiheit' Delius Clasing Verlag 2003